Die Beckenbodenmuskulatur ist ein versteckter Teilbereich unseres Körpers, der häufig keine oder zu wenig Beachtung findet. Durch eine bewusste Wahrnehmung und Schulung der Ansteuerung dieser Muskelpartie können viele positive Effekte erreicht werden. Wie jeder andere Muskel in unserem Körper lässt sich der Beckenboden mit gezielten und konsequent ausgeführten Übungen trainieren und stärken. Das Training wird sowohl in ärztlichen Praxen, in Spezialambulanzen, bei Physiotherapeuten, Sportwissenschaftlern oder Hebammen unterrichtet und kann dann auch problemlos zuhause durchgeführt werden.
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Katharina Meller (Bereichsleitung Physikalische Therapie, Ergotherapie und Logopädie, KH Göttlicher Heiland und Vorstandsmitglied der Medizinischen Kontinenzgesellschaft Österreich) gibt die besten Tipps, wie man mit Training Beckenbodenschmerzen in den Griff bekommt. (Webinar, 15.2.2021)
Der Beckenboden setzt sich aus einer dreischichtigen Muskelgruppe zusammen, die den Bauchraum nach unten abschließt und die Last der inneren Organe trägt. Er reicht vom Schambeinknochen über das Steißbein, bis hin zu den seitlichen Sitzbeinhöckern. Bei Frauen liegt er zwischen Scheide und Anus, bei Männern zwischen Hoden und Anus. Eine wesentliche Aufgabe des Beckenbodens ist seine stützende Funktion. Er verschließt den Anus und steuert so die Darmentleerung. Bei einer Geburt oder beim Geschlechtsverkehr öffnet sich der weibliche Beckenboden. Außerdem hält er dem Druck im Bauchraum stand, der beim Heben schwerer Lasten, beim Husten oder Niesen entsteht.
Beckenbodentraining hilft in den folgenden Zusammenhängen:
Beim Beckenbodentraining wird ein Zusammenspiel mehrerer Komponenten, wie Atmung, Bewusstsein, Anspannung und Haltung erlernt.
Gleichermaßen hilft ein gut trainierter Beckenboden, eine gute physiologisch richtige Haltung stabilisieren zu können. Das heißt, es besteht eine Wechselwirkung – einerseits beeinflusst eine schlechte Haltung den Beckenboden negativ, da der Druck im Bauchraum steigt, andererseits begünstigt ein stabiler Beckenboden eine gesunde Haltung. Schwächen im Haltungs- und Stützapparat werden häufig unter anderem mit Beckenbodentraining ausgeglichen.
Beim Biofeedback-Verfahren wird dem Betroffenen anal oder vaginal eine Sonde eingeführt, die die Beckenbodenmuskeln aktiviert. Mithilfe eines akustischen Signals sind die Kontraktionen des Beckenbodens hörbar, gleichzeitig werden diese Aktivitäten auf einem Bildschirm als Kurve dargestellt. Betroffene sollen lernen, anhand der Signale die Beckenbodenmuskeln anzuspannen und zu entspannen.
Eine andere Trainingsmöglichkeit bietet Elektrostimulation mit elektronischen Therapiegeräten, die von unterschiedlichen Herstellern angeboten werden. Ihre Wirkungsweise beruht auf dem Prinzip, den angespannten Muskeln einen "Widerstand" zu bieten. Je nach Verfahren werden eine Sonde oder ein Ballonkatheter anal oder vaginal eingeführt, die elektrische Impulse aussenden. Die Beckenbodenmuskeln trainieren dadurch nicht "ins Leere" sondern gegen einen Widerstand, ähnlich wie bei Geräten im Fitnessstudio.
Bei Beginn des Beckenbodentrainings stellen sich sehr schnell erste Besserungen und Fortschritte ein. Um aber auch großen Belastungen wie z.B. Niesen standhalten zu können, benötigt es ein konsequentes Üben. Günstig ist es, täglich etwa eine Viertelstunde zu trainieren, besser ist es, einfache Übungen im Alltag so oft wie möglich auszuführen. Das Training sollte etwa ein halbes Jahr lang durchgeführt werden. Bei elektronischer Stimulation versprechen Hersteller spürbare Erfolge schon nach 3 Wochen.
Studien zeigen, dass bei 5 Trainingstagen zu je 30 Minuten Übungseinheiten an einer ambulanten Einrichtung diese Erfolge merkbar sind. Üblicherweise dauert das Training an einer Beckenbodenambulanz 6 Wochen, mitunter werden auch Geräte für den Gebrauch zuhause zur Verfügung gestellt. Günstig ist es, das Training mit elektronischer Stimulation zuhause etwa 10 Wochen weiter zu betreiben.
Im Hinblick auf die Wirkungsweise von Beckenbodentraining, ist eine Kombination aus Beckenbodentraining und Elektrostimulation, über etwa ein halbes Jahr angewendet, am wirkungsvollsten.
Ein konsequentes Training schützt vor "Rückfällen" bzw. vor anderen Erkrankungen, wie Gebärmuttersenkung oder Inkontinenz.
Speziell ausgebildete Physiotherapeuten, Sportwissenschaftler, Ärzte oder Hebammen sind erste Anlaufstelle für Beckenbodentraining. An manchen Kliniken stehen auch Beckenbodenambulanzen zur Verfügung. Im Krankenhaus erfolgt das Training nach der Geburt durch Hebammen im Rahmen der "Rückbildungsgymnastik".
Beckenbodentraining ist keine "Gymnastik", sondern ein bewusstes Aktivieren der entsprechenden Muskelpartien. Wichtig ist es daher, dass der Trainierende die unterschiedlichen Muskelpartien, wie Bauch, Gesäß- und Beckenbodenmuskeln bewusst wahrnimmt.
Bei Inkontinenz, die nicht mit einer Muskelschwäche zusammenhängt sondern z.B. mit neurologischen Störungen (z.B. Demenz, Rückenmarkstumoren oder Querschnittlähmung), ist Beckenbodentraining keine geeignete Therapie.
Beckenbodentraining nach der Geburt wird an Krankenhäusern kostenlos angeboten. Bei ärztlicher Indikation (Inkontinenz) leisten die meisten Kassen - je nach Versicherungsträger und nach chefärztlicher Bewilligung einen Kostenzuschuss. Die Kosten für eine Biofeedback-Therapie belaufen sich auf zirka 80 Euro pro Sitzung (50 Minuten) bei freien Therapeuten, üblicherweise leistet der Versicherungsträger einen Zuschuss von zirka 20 Euro.