Schwindel (Vertigo)

Frau mit Drehschwindel greift sich an den Kopf
Viele Menschen haben irgendwann im Leben mit starken Schwindelbeschwerden zu kämpfen.
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Wenn einem schwindelig ist, kann das ganz verschiedene Gründe haben: für einige, aber nicht für alle Schwindelformen gibt es gezielte Behandlungsansätze.

Medizinische Expertise

Gerald Wiest

Univ.-Prof. Dr. Gerald Wiest

Facharzt für Neurologie und Psychiatrie
Würzburggasse 20/1, 1130 Wien
www.schwindel-wien.at
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Zu beachten ist zuerst einmal, dass Schwindel – in der Fachsprache auch als Vertigo bezeichnet – kein eigenständiges Krankheitsbild darstellt, sondern ein Symptom, das aufgrund anderweitiger Störungen innerhalb des Körpers entsteht. Darum ist es wichtig, gemeinsam mit der Ärzt:in nach der zugrundeliegenden Ursache zu suchen, wenn sich die Umgebung z.B. zu drehen beginnt oder wie auf einem Schiff schwankt.

  • Schwindel ist eine Störung des Gleichgewichtssinns und löst ein Gefühl von Benommenheit oder Schwankungen aus.
  • Es gibt zwei Arten von Schwindel: gerichteter Schwindel (Drehschwindel) und ungerichteter Schwindel (Benommenheit).
  • Typische Symptome sind Gleichgewichtsstörungen, Herzrasen oder Übelkeit.
  • Auslöser können Störungen des Tast- und Fühlsinns, Migräne oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein.
  • Die Therapie hängt von den Beschwerden ab, zum Beispiel helfen bestimmte Balanceübungen den Gleichgewichtssinn zu trainieren. Eine Psychotherapie erfolgt in der Regel bei psychogenem Schwindel.
Art Symptom, Störung des Gleichgewichtssinns
Ursachen Störungen in verschiedenen Systemen: Augen, vestibuläres System, Herz-Kreislauf-System bzw. Durchblutung, Psyche, Muskeln und Haut
Arten Gerichteter Schwindel, ungerichteter Schwindel
Diagnose Durch allgemeine Untersuchungen (z.B. Puls und Blutdruck, Erhebung des neurologischen Status, Untersuchung des Hörvermögens, EKG oder bildgebende Verfahren). Durch spezifische Untersuchungen (Kopfimpulstest, Nystagmus).
Therapie Behandlung im Krankenhaus bei akut auftretenden Formen, Medikamente, Beachtung der Nebenwirkungen von eingenommenen Medikamenten, Lagerungsmanöver, Balancetraining, Psychotherapie

Zwischen 20 und 30 % der Österreicher:innen haben im Lauf ihres Lebens zumindest einmal mit starken Schwindelsymptomen zu kämpfen. Mit zunehmendem Alter werden die Beschwerden häufiger: Etwa 50 % der Betroffenen, die sich mit ihrem Problem an die Hausärzt:in wenden, sind über 70 Jahre alt.

Schwindel kann durch Störungen in verschiedenen Systemen entstehen, die üblicherweise Aufschluss darüber geben, ob man liegt, steht, sitzt oder sich bewegt. Dazu gehören:

  • Augen,
  • vestibuläres System: einerseits zählen dazu das Gleichgewichtsorgan (Vestibularorgan) und der Hirnnerv, der dieses versorgt (peripheres vestibuläres System); andererseits der Hirnstamm, das Kleinhirn und die Hirnrinde (zentrales vestibuläres System),
  • Herz-Kreislauf-System bzw. Durchblutung,
  • Psyche
  • und auch u. a. Muskeln und Haut, die über die sogenannte Propriozeption Informationen über die Lageorientierung an das Gehirn liefern.

Passen die Informationen aus den unterschiedlichen Systemen nicht (mehr) zusammen, entsteht Schwindel als Symptom. In manchen Fällen ist die Störung auf ein einzelnes System begrenzt, z. B. beim gutartigen Lagerungsschwindel, wo nur die Bogengänge im Vestibularorgan betroffen sind.

 

Mit zunehmendem Alter kommt es aber oftmals zu einer Störung in mehreren Bereichen:

  • man sieht nicht mehr so gut 
  • die Durchblutung ist schlechter
  • eventuell auch die Wahrnehmung in den Füßen (z. B. durch einen diabetischen Fuß)
  • mitunter spielt auch die Psyche eine Rolle, etwa die Angst davor, zu stürzen

Dies erklärt, warum Schwindel im Alter häufiger auftritt.

In der Medizin werden verschiedene Arten von Schwindelgefühlen unterschieden. Zu den verbreitetsten davon zählen:

Gerichteter Schwindel Drehschwindel (als ob man Karussell fahren würde), Zugtendenz auf eine bestimmte Seite
Ungerichteter Schwindel Benommenheit (wenn einem "schwummrig" wird), Gangunsicherheit (das Gefühl, nicht sicher auf den Beinen zu sein), Schwankschwindel (als ob man auf einem Schiff wäre)

Beim Besuch bei der Ärzt:in ist es wichtig, genau zu beschreiben, wie sich der Schwindel anfühlt, wie lang er üblicherweise andauert und in welchen Situationen er für gewöhnlich auftritt.

Akute und chronische Verläufe

Tritt der Schwindel plötzlich (und anhaltend) auf, sollte sofort ein Krankenhaus aufgesucht werden: es könnte sich z. B. um einen Schlaganfall, Herzrhythmusstörungen oder eine Blutdruckkrise handeln. Hier sollten Betroffene bzw. deren Angehörige auch auf Begleitsymptome achten, die für diese Notfälle typisch sind. Etwa:

Bei anderen Schwindelformen, die wiederholt nur in bestimmten Situationen auftreten (etwa beim Aufstehen oder bei einer sonstigen Lageänderung des Körpers) oder z. B. in Menschenmengen (was auf eine Beteiligung der Psyche hinweisen könnte), ist die Abklärung nicht ganz so dringlich, sollte aber trotzdem nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Denn je länger das Symptom anhält, desto eher kann es zu einem chronischen Verlauf kommen. Von einem solchen spricht man dann, wenn der Schwindel über mindestens drei Monate hinweg an den meisten Tagen auftritt. Grunderkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nervenschädigungen oder Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule bzw. des Rückenmarks können u. a. zu chronischem Schwindel bzw. Gangunsicherheit führen.

Um die Schwindelbeschwerden einem spezifischen Krankheitsbild zuordnen zu können, ist:

  • eine genaue Beschreibung des Schwindels und der begleitenden Symptome notwendig
  • gemeinsam abzuwägen, ob gewisse Grunderkrankungen wie Herzkrankheiten, Diabetes oder Augenprobleme eine Rolle spielen könnten
  • zu prüfen, ob diverse Medikamente zum Entstehen von Schwindelsymptomen beitragen, etwa bestimmte Schlafmittel (vor allem Benzodiazepine) oder einige Blutdruckmedikamente (Antihypertensiva)

Allgemeine Untersuchungen

Im Rahmen der Basisuntersuchung werden z. B. Puls und Blutdruck überprüft. Außerdem wird ein neurologischer Status erhoben, wo u. a. die Gleichgewichtsreflexe, die Koordination und die Sensibilität überprüft werden. Bei Verdacht auf eine Störung im jeweiligen System kann die Ärzt:in auch das Hörvermögen genauer untersuchen, ein EKG oder ein bildgebendes Verfahren z. B. im Kopf- und Halswirbelsäulenbereich anordnen.

 

Spezifische Untersuchungen

Daneben gibt es ganz spezifische Tests, die zur Abklärung von Schwindel eingesetzt werden, u. a.:

  • Kopfimpulstest: Mit diesem Test, bei dem die kompensatorischen (ausgleichenden) Augenbewegungen nach einer raschen Drehung des Kopfes beobachtet werden, können Störungen des Vestibularorgans diagnostiziert werden, etwa die Entzündung des Nervs, der das Organ versorgt (Neuritis vestibularis).

  • Nystagmus: Dabei handelt es sich um ganz charakteristische Augenbewegungen – eine Art wiederholtes Zucken in eine bestimmte Richtung – aus der Ärzte auf die Ursache des Schwindels schließen können. Diese Augenbewegungen stehen ebenfalls in Zusammenhang mit Störungen des peripheren (z. B. gutartiger Lagerungsschwindel, Neuritis vestibularis) bzw. des zentralen vestibulären Systems (z. B. Schädigungen im Bereich des Hirnstamms oder Kleinhirns).

Beispiele für Schwindel auslösende Erkrankungen

Übersichtsmäßig sind hier einige Schwindelarten dargestellt sowie typische Krankheitsbilder, die sich dahinter verbergen können:

Schwindelart Erkrankungen (Beispiele)
Drehschwindel
  • Gutartiger Lagerungsschwindel
  • Neuritis vestibularis
  • Morbus Menière (Erkrankung des Innenohrs)
  • Subclavian-Steal-Syndrom (Arterienverengung)
  • Vestibuläre Migräne (Schwindelmigräne)
  • Vertebralisdissektion (Aufspaltung der Arterienwand)
  • Perilymphfistel (Austritt von Innenohrflüssigkeit)
Schwankschwindel
  • Psychogener Schwindel
  • Vestibuläre Migräne
  • Perilymphfistel
  • Kleinhirnläsion
Ungerichteter Schwindel (Benommenheit, Gangunsicherheit)
  • "Altersschwindel"
  • Herzrhythmusstörungen
  • Fehlsichtigkeit
  • Hirnstammläsion

Die Behandlung der Schwindelbeschwerden richtet sich ganz nach deren Ursache. Akut und anhaltend auftretende Schwindelformen müssen wie oben beschrieben rasch im Krankenhaus behandelt werden. Daneben gibt es folgende wichtige Behandlungsmaßnahmen:

  • Medikamente: Diverse Arzneimittel können die Symptome kurzfristig unterdrücken. Diese Schwindelmedikamente (Antivertiginosa) sind aber nicht für den Langzeitgebrauch geeignet, da sie die Ursache des Problems nicht beheben. Dazu zählen etwa sedierende Antihistaminika, die Übelkeit und Erbrechen unterdrücken. Zur Wirksamkeit von Betahistin für die Behandlung des Morbus Menière liegen bis dato keine gesicherten Studien vor.

  • Nebenwirkungen beachten: Eingenommene Medikamente, die dafür bekannt sind, dass sie zu Schwindel führen, sollen gemeinsam mit der Ärzt:in nach Möglichkeit durch Medikamente ohne diese Nebenwirkungen ersetzt werden.

  • Lagerungsmanöver: Für den sehr häufig auftretenden gutartigen Lagerungsschwindel sind kleine Kristalle verantwortlich, die sich in den Bogengängen des Gleichgewichtsorgans bewegen und so zur Schwindelsymptomatik führen. Diese Kristalle können mittels bestimmter Bewegungsabfolgen wieder "reponiert" werden, wodurch sich die Beschwerden legen.

  • Balancetraining: Gangunsicherheit und auch eine altersbedingte Angst vor Stürzen können mittels physiotherapeutischer Übungen gelindert werden, indem das Halten des Gleichgewichts, die beteiligte Muskulatur sowie bestimmte Bewegungsabläufe gezielt trainiert werden. Ein vestibuläres Balancetraining nach Neuritis vestibularis trägt ebenso zur rascheren Kompensation bei.

  • Psychotherapie: Psychogener Schwindel stellt die zweithäufigste Schwindelform nach dem gutartigen Lagerungsschwindel dar. Die Ärzt:in wird in diesem Fall eine Psychoedukation durchführen, wo der Betroffen:e aufgeklärt wird, warum der Schwindel auftritt; zusätzlich sollte er eine Psychotherapie in Anspruch nehmen, z. B. Verhaltenstherapie oder psychodynamische Therapieformen. Reicht dies nicht aus um die Beschwerden zu lindern, können auch Psychopharmaka zum Einsatz kommen. Psychogener Schwindel steht auch oft in Zusammenhang mit einer Depression.

Werden physiotherapeutische Übungen zur Verbesserung des Schwindels bzw. der Gangunsicherheit angeordnet, sollten diese zuhause gewissenhaft durchgeführt werden.

Treten Schwindelsymptome auf, gibt es mehrere Anlaufstellen, wo Betroffenen weitergeholfen werden kann. Besteht keine akute Gefährdung (siehe oben), verweist die Hausärzt:in je nach Symptomatik an eine HNO-Ärzt:in und/oder eine Neurolog:in. Bei akuten Beschwerden sollte eine HNO- bzw. neurologische Ambulanz aufgesucht werden. Zudem gibt es in Österreich einige spezialisierte Schwindelambulanzen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):


Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

16. Januar 2024

Erstellt am:

13. Januar 2021

Stand der medizinischen Information:

13. Januar 2021


ICD-Code:
  • R42

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