Betroffene haben das Verlangen, immer mehr zu trinken – wenn sie darauf verzichten, treten Entzugssymptome auf. Die Ursachen finden sich in der individuellen Lebensgeschichte, aber auch im sozialen Umfeld und dem Abhängigkeitspotenzial bzw. der Verfügbarkeit des Alkohols. Auch wenn sie über negative Folgen wie Leberschädigungen Bescheid wissen, können viele Betroffene nicht aufhören, zu trinken. Entzugstherapien, bei denen Medikamente und Psychotherapie eingesetzt werden, helfen bei der Bekämpfung der Abhängigkeit, aber auch der Besuch von Selbsthilfegruppen.
Video: Gewohnheit oder Sucht – Wo ist die Grenze?
Univ.-Prof. Dr. Eva Maria Reininghaus (Vorständin der Univ.-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Med Uni Graz) zeigt auf, wo beim Alkoholkonsum die feine Grenze zwischen harmloser Gewohnheit und krankhafter Abhängigkeit liegt. (Webinar, 12.5.21)
Insgesamt sind 5 % der Österreicher alkoholabhängig, genauer gesagt 7,5 % der Männer und 2,5 % der Frauen. Zusätzlich ist bei 12 % – d. h. bei ungefähr jedem 8. Menschen in Österreich – der Alkoholkonsum problematisch, man spricht von Alkoholmissbrauch.
Bei Alkoholmissbrauch entstehen für die Betroffenen durch den Alkoholkonsum Probleme auf zwischenmenschlicher oder rechtlicher Ebene, weil sie ihren Aufgaben (z.B. Job) nicht nachkommen, alkoholisiert Auto fahren oder zu Streit und Aggressionen neigen. Im Gegensatz zur Alkoholsucht ist das Trinken kein Zwang, es treten keine Entzugssymptome auf.
Wie viel Alkohol konsumiert werden kann, bis eine Gesundheitsgefährdung eintritt, ist für Männer und Frauen unterschiedlich:
FRAUEN | MÄNNER | |
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Unbedenklicher Konsum | Bis 16 g Alkohol pro Tag | Bis 24 g Alkohol pro Tag |
Gesundheitsgefährdender Konsum | Ab 40 g Alkohol pro Tag | Ab 60 g Alkohol pro Tag |
Alkohol wird von vielen Abhängigen wie ein Medikament eingesetzt: Wenn es ihnen schlecht geht, sie Stress oder Probleme zu bewältigen haben, trinken sie. Alkohol wird als Konflikt- und Spannungslöser eingesetzt oder als Mittel, um sich besser zu fühlen. Kurzfristig geht es Betroffenen auch besser, der Alkohol hebt die Stimmung und Probleme können leichter vergessen werden – das "Medikament" wirkt. Langfristig gewöhnt sich der Körper an die Wirkung des Alkohols, bei gleichbleibender Menge wird aber schon bald nicht mehr die gleiche Wirkung erzielt. Daher muss die Alkoholmenge erhöht werden, der Betroffene schlittert in die Abhängigkeit.
Ganz allgemein gibt es 3 Faktoren für die Entstehung einer Sucht:
Von Alkoholabhängigkeit spricht man dann, wenn irgendwann während des vergangenen Jahres drei oder mehr der folgenden Kriterien gleichzeitig aufgetreten sind:
So viel Alkohol ist in verschiedenen Getränken enthalten:
GETRÄNK | MENGE | ALKOHOLGEHALT |
---|---|---|
Bier | 0,33 Liter | ca. 13 g |
Bier | 0,5 Liter | ca. 20 g |
Wein (leicht) | 1 Liter | ca. 55-75 g |
Wein (mittel) | 1 Liter | ca. 75-90 g |
Wein (schwer) | 1 Liter | ca. 90-110 g |
Korn (32 % vol.) | 1 Liter | ca. 250-260 g |
Weinbrand (38-40 % vol.) | 1 Liter | ca. 300-320 g |
Whiskey (38-40 % vol.) | 1 Liter | ca. 340-350 g |
0,05 Liter Korn = 0,25 Liter Wein / Sekt = 0,5 Liter Bier / Most = 1/16 Liter Spirituosen (3 Schnäpse à 20 ml) = 1/8 Liter Likör
Bei Alkoholabhängigen kann eine Alkoholisierung von etwa 3-4 Promille gegeben sein, ohne dass sie sich auffällig verhalten. Bei Personen, die nicht an die Wirkung von Alkohol gewöhnt sind, treten die nachfolgend aufgelisteten Reaktionen ein:
PROMILLE (%) | WIRKUNG |
---|---|
Unter 0,2 % | Enthemmende Wirkung, gesteigerte Redseligkeit |
Ab 0,3 % | Erste Beeinträchtigungen |
Ab 0,5 % | Reaktionszeit verlängert, vor allem auf rote Signale (Rotlichtschwäche) |
Ab 0,8 % | Erste Gleichgewichtsstörungen, eingeengtes Gesichtsfeld (Tunnelblick), deutliche Enthemmung |
1-1,5 % | Sprachstörungen, erhöhte Risikobereitschaft und Aggressivität |
2-2,5 % | Starke Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen, Lallen |
Mehr als 2,5 % | Bewusstseinseintrübung, Lähmungserscheinungen, Doppelbilder, Amnesie |
Mehr als 3,5 % | Gefahr der potenziell lebensbedrohlichen Atemdepression |
Alkohol wirkt auf folgende Grundfunktionen:
Es gibt verschiedene Typen von Alkoholikern (nach Lesch):
ALPHA-TYP |
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BETA-TYP |
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GAMMA-TYP |
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DELTA-TYP |
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EPSILON-TYP |
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Jahrelanger exzessiver Alkoholkonsum kann verschiedenste körperliche Erkrankungen nach sich ziehen. Leberschädigungen (z.B. Fettleber, Leberzirrhose), Lungenerkrankungen (z.B. COPD), Traumata, Bluthochdruck, Ernährungsstörungen (z.B. Mangelernährung) und Störungen des Gastrointestinaltraktes (z.B. Gastritis, Magen-Darm-Geschwür) können die Folge sein. Auch psychische Erkrankungen können auftreten. Zu den wichtigsten gehören depressive und aggressive Störungen, Eifersuchtswahn, Halluzinose und Gedächtnisverlust.
Da die Betroffenen wegen dem Trinken oft andere Lebensbereiche von Hobbys, Freundschaften bis hin zum Job vernachlässigen, sind die sozialen Folgen ebenfalls von Bedeutung.
Die Diagnose Alkoholabhängigkeit wird dann gestellt, wenn mindestens 3 der folgenden Symptome
innerhalb des letzten Jahres aufgetreten sind.
Dies kann mithilfe von Selbstbeurteilungsfragebögen erfasst werden, in denen die Betroffenen ihr Trinkverhalten beurteilen. Zusätzlich dazu können auch Laboruntersuchungen durchgeführt werden, um die Diagnose zu bestätigen. Der aktuelle Alkoholkonsum lässt sich gut über die Menge an Ethylalkohol in Atemluft, Blut oder Urin messen. Für den chronischen Alkoholkonsum können die Stoffe Ethylglukuronid und Phosphatidylethanol herangezogen werden, die in Haaren, Blut oder Urin nachgewiesen werden können.
Für die Behandlung von Alkoholsucht gibt es mehrere Möglichkeiten. Für den Entzug können folgende Mittel bzw. Methoden eingesetzt werden:
Medikamente: Entweder, um das Verlangen nach Alkohol zu dämpfen. Sie unterstützen aber auch im Rahmen einer abstinenzorientierten Entzugstherapie, um unangenehme Vergiftungserscheinungen (z.B. Erbrechen) hervorzurufen, wenn doch getrunken wird. Außerdem kann die Stimmung verbessert und häufig auftretende Schlafprobleme reduziert werden.
Psychotherapie: Alle Therapieformen sind für Alkoholabhängige geeignet – das Spektrum reicht von tiefenpsychologischer Psychotherapie über Verhaltenstherapie, von systemischer Therapie bis hin zu familienorientierter Therapie.
Neuere Ansätze gehen davon aus, dass Alkoholsucht nicht die Ursache, sondern die Folge eines zugrundeliegenden Problems – einer psychischen Erkrankung oder persönlichen Krise des Betroffenen – ist. Deshalb sollte bei Alkoholabhängigen immer auch überprüft werden, ob Depressionen, Borderline-Störung, Schizophrenie, Zwänge oder Ängste vorliegen, aus denen sich die Sucht entwickelt haben könnte. Bei Bedarf können Psychopharmaka wie Antidepressiva eingesetzt werden.
Statt völlige Abstinenz als Ziel anzustreben, die im Alltag schwer aufrechtzuerhalten ist, geht die Entwicklung hin zu Entzugstherapien, die kontrolliertes Trinken als Ziel haben.