Asperger-Syndrom

Bub mit Asperger-Syndrom lächelt in die Kamera
Asperger: Das Verhältnis zwischen Buben und Mädchen liegt bei 8:1.
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Das Asperger-Syndrom ist eine Entwicklungsstörung, die dem Krankheitsspektrum des Autismus angehört. Typisch für das Asperger-Syndrom sind Auffälligkeiten in der Motorik und Schwierigkeiten im Sozialverhalten.

Medizinische Expertise

Wolfgang Gombas

Dr. Wolfgang Gombas

Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Arzt für psychosomatische Medizin, Allgemeinmediziner, Ordination Dr. Gombas
Familienplatz 4/4, 1160 Wien
www.dr-gombas.at
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Nur selten fallen Personen mit Asperger-Syndrom durch eine "Inselbegabung" auf, die sie zu "kleinen Professor:innen" macht. Menschen mit Asperger-Syndrom haben oft sehr spezielle Interessen, sie sind daher "anders" als andere. Schätzungen zufolge sind etwa 0,5 bis 2 % aller Menschen von dieser Form des Autismus betroffen. Unbehandelt führt das Asperger-Syndrom bei Erwachsenen häufig zu massiven psychischen Belastungen. Die häufigsten tiefgreifenden autistischen Entwicklungsstörungen sind neben dem Asperger-Syndrom z.B. frühkindlicher Autismus.

  • Das Asperger-Syndrom ist eine autistische Entwicklungsstörung.
  • Betroffene verfügen unter anderem über eine geringe Sozialkompetenz und ein mangelndes Einfühlungsvermögen. Daher haben sie häufig Schwierigkeiten Kontakte zu knüpfen.
  • Personen mit Asperger-Syndrom besitzen über eine hohe Intelligenz und sind sprachlich sehr begabt.
  • Für die Behandlung von Asperger gibt es verschiedene Therapieformen wie etwa Musiktherapie oder Ergotherapie etc.

Art Entwicklungsstörung (Autismus)
Beschreibung Auffälligkeiten in der Motorik und geringe Sozialkompetenz
Ursache genetisch bedingte Fehlsteuerung
Symptome Schwächen in Motorik, Intelligenz, Sprache, Sozialverhalten
Diagnose Rasche Sprachentwicklung
Therapie Verhaltenstherapie (Tier- oder Musiktherapie)

Untersuchungen zeigen, dass von 10.000 Kindern etwa 2 bis 3 vom Asperger-Syndrom betroffen sind, das Verhältnis zwischen Buben und Mädchen liegt bei 8:1. Der geringere Anteil von Frauen mit Asperger-Syndrom liegt möglicherweise daran, dass Frauen ihre Defizite eher "überspielen" können und die Störung bei ihnen daher nicht diagnostiziert wird. Frauen werden generell viel stärker in sozialen Fähigkeiten trainiert. Deswegen können Frauen mit Asperger-Syndrom die sozialen Defizite meist besser kompensieren.

Der aktuellen Studienlage zufolge ist eine genetische Komponente für die Entstehung eines Asperger-Syndroms wahrscheinlich. Genaue Untersuchungen fehlen bislang noch.

Das Asperger-Syndrom ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung und zählt zur Gruppe der autistischen Störungen. Durch eine vermutlich genetisch bedingte Fehlsteuerung – dies wird gegenwärtig von Forscher:innen diskutiert – verbinden sich neuronale Netzwerke in den ersten Lebensjahren unzureichend. Das führt dazu, dass bei Betroffenen die Informationsverarbeitung von Außenreizen anders erfolgt als bei Nicht-Aspergern. Studien haben nachgewiesen, dass autistische Menschen Abweichungen in den Hirnfunktionen aufweisen, wie im frontalen Cortex, der Amygdala (Mandelkern) und in den Basalganglien (Kerne unter der Großhirnrinde). Nachgewiesen wurde beispielsweise, dass Asperger-Betroffene häufig Schwierigkeiten haben, Gesichter zu erkennen. Sie haben einen anderen Blickverlauf als Nicht-Asperger. Abstraktes, Sprache oder Objekte werden jedoch überdurchschnittlich gut abgespeichert. Ursache ist eine viel stärkere Wahrnehmung von Details und schlechte Kohärenzleistung: das "große Gesamtbild" wird nicht hergestellt.

Bisher galt es als schwierig, ein Asperger-Syndrom von Autismus abzugrenzen. Bei beiden handelt es sich um eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die dem autistischen Spektrum angehört. Im Gegensatz zum frühkindlichen Autismus wird das Asperger-Syndrom meist erst nach dem 3. Lebensjahr diagnostiziert, da ein wesentliches Merkmal der Beeinträchtigung eine gute Sprachentwicklung ist und daher zunächst keinen Verdacht auf ein Asperger-Syndrom aufkommen lässt.

Menschen mit Asperger-Syndrom sind in ihrer Entwicklung bis zum 3. Lebensjahr meist unauffällig, sie haben durchwegs eine normale, teilweise hohe Intelligenz, können aber dennoch schlechte Schüler:innen sein. Da Betroffene sich stark mit sich selbst und ihrer Innenwelt beschäftigen, zeigen sich häufig Aufmerksamkeitsdefizite. Diese und die Hyperaktivitätsstörung sind die häufigsten Symptome im Kindes- und Jugendalter. Bei Jugendlichen und Erwachsenen ist die Depression eine der häufigsten Begleiterscheinungen des Asperger-Syndroms.

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Diese Symptome können Hinweise auf ein Asperger-Syndrom sein:

  • Intelligenz: Asperger-Betroffene haben eine normale bis überdurchschnittlich hohe Intelligenz.
  • Sprache: Kinder zeigen keine verzögerte Sprachentwicklung wie bei anderen autistischen Erkrankungen, benutzen z.B. im 2. Lebensjahr bestimmte Begriffe, die Sprache ist pedantisch. Es mangelt an emotionaler Wärme, wirkt also mitunter "technisch", für das jeweilige Alter ungewöhnlich gut entwickelt. In der Kommunikation sind Betroffene häufig unempathisch und nehmen die Befindlichkeiten und Gefühle und Intentionen des Gesprächspartners kaum wahr.
  • Sozialverhalten: Asperger-Betroffene sind in ihrer sozialen Interaktionen eingeschränkt, die unterschiedliche Ausprägungen haben, wie z.B. Probleme auf Emotionen zu reagieren, "Einzelgängertum", Schwierigkeiten, sich Gleichaltrigen anzuschließen, Vermeiden von Blickkontakt, emotionale Distanz, können sich sozialen Regeln nicht unterordnen, Betroffene tun sich schwer, eine 'Theory of Mind' zu entwickeln: Damit wird ein Modell bezeichnet, das die Fähigkeit beschreibt, sich in andere hineinzudenken und Perspektiven eines anderen einnehmen und nachfühlen zu können.
  • Motorik: diese ist ungeschickt, unbeholfen, linkisch und geprägt von Koordinationsstörungen in der Grob- und Feinmotorik.
  • Interessen: meist liegen spezielle, ausgefallene Interessen vor, bevorzugt werden stereotype Verhaltensmuster (z.B. das Auswendiglernen von Tabellen, Flusslängen und -namen, Baumarten, Flugzeugmarken oder ähnliche Daten), das Leben findet in einer "eigenen Welt" statt.

Die Folgen: Gehemmte Kommunikation und emotionale Distanz

Kinder mit Asperger-Syndrom entwickeln häufig im Schulalter Verhaltensauffälligkeiten, verstoßen gegen soziale Regeln und bleiben oft "Einzelgänger" mit speziellen Interessen. Im Jugend- und Erwachsenenalter kann dieses Verhalten kompensiert werden, doch bleiben Menschen mit Asperger-Syndrom für die Umwelt "irgendwie anders als die anderen". Sie entwickeln sich zu schwierigen, mitunter exzentrischen Persönlichkeiten, die manchmal auch zu intellektuellen Höchstleistungen fähig sind. Die Sozialkompetenz wird jedoch nicht weiter entwickelt, der Betroffene ist emotional distanziert, wenig sozial und in der Kommunikation gehemmt. Im Erwachsenenalter können Depression, Angststörungen oder Zwänge hinzukommen, um den sozialen Stress auszugleichen. Dieser entsteht, weil der Betroffene nicht fähig ist, soziale Regeln anzuwenden, selbst wenn er um sie weiß.

Asperger-Syndrom und Lebensbewältigung

Verhaltensauffälligkeiten, sozialer Rückzug, hervorragende sprachliche und intellektuelle Fähigkeiten sind Merkmale, die hoch intelligente, erwachsene Asperger-Betroffene zeigen. Gelingt z.B. ein Kompensieren der sozialen Verhaltensdefizite (Kontaktschwierigkeiten), bleiben Sprache und Verhalten jedoch nach wie vor auffällig (z.B. extrem gewählte Sprache, eigenartige Gesten). Weniger "sprachbegabte" Asperger-Betroffene kompensieren ihre sprachlichen Defizite häufig mit starkem Rückzug oder dem Entwickeln von Zwängen.

Asperger-Menschen mit intellektuellen Defiziten haben Probleme in Motorik und Wahrnehmung. Sie neigen häufig zu aggressivem Verhalten, das auch gegen sie selbst gerichtet sein kann.

Unbehandelt führt das Asperger-Syndrom bei Erwachsenen häufig zu massiven psychischen Belastungen. Vielen hoch intelligenten Asperger-Menschen ist nicht bewusst, dass sie – aufgrund ihres emotionalen Defizits – mit unempathischen Bemerkungen andere verletzen können, sie wissen mitunter darum, verstehen dies aber nicht, da sie selbst emotional nicht zugänglich sind. Im Sozialverhalten entsteht für viele Betroffene ein Leidensdruck aufgrund der Schwierigkeit, soziale Kontakte einzugehen, einer Gruppe anzugehören. Sie verstehen nicht, wenn sie durch Verhaltensauffälligkeiten andere Menschen irritieren und fühlen sich daher rasch ausgegrenzt oder abgelehnt. Sie wissen um soziale Regeln, können sie aber nicht umsetzen.

Ein Asperger-Syndrom stellt die Fachärzt:in anhand spezieller Diagnosekriterien, die von Fachgesellschaften erstellt wurden (ICD-10 und DMS-5). Die häufigsten Merkmale der Entwicklungsstörung sind:


Eine rasche Sprachentwicklung, schon im 2. Lebensjahr können Kinder mitunter bestimmte Begriffe aussprechen und sinnvoll zuordnen. Erwachsene pflegen eine gehobene, fast künstlich wirkende Sprache.


Die Sprachentwicklung ist bis zum 3. Lebensjahr normal und erhält dann bestimmte Akzentuierungen:

  • Die Sprachmelodie ist monoton, eintönig und hat eine geringe Modulation
  • Die Stimmlage ist oft zu hoch oder zu tief und dem Inhalt nicht angepasst (ernst, lustig, traurig)
  • Die ganze Kommunikation wirkt künstlich oder "unspontan", ist oft langatmig und umständlich

Während manche Asperger-Kinder früh zu sprechen beginnen (z.B. Untersuchung von Remschmidt), scheint fast die Hälfte dieser Kinder erst spät sprechen zu lernen und holt diesen Rückstand bis zum Alter von 5 Jahren auf (z.B. Attwood).

Ungewöhnliche, sehr spezifische Interessen, stereotypes Verhalten: Kinder merken sich ungewöhnliche, im Allgemeinen bedeutungslose Daten, wie Flugzeugmarken, Busfahrpläne, die höchsten Berge samt Höhenmetern, Zahlen etc., Erwachsene haben spezifische Interessen, wie ausgefallene Hobbys; sie schätzen stereotype, monotone Abläufe im gewohnten Umfeld, sind strukturiert und meist gut organisiert. In fremder Umgebung sind sie oft hilflos, sogar panisch, weil sie sich nur schwer zurechtfinden.

Probleme in der sozialen Interaktion

  • Emotionslosigkeit: Betroffene nehmen kaum Notiz von ihrem Gegenüber, können sich nicht in andere hineindenken, wenig Mimik und Gestik
  • Kontaktschwierigkeiten: Probleme, sich an Gleichaltrige anzuschließen, sich in Gruppen zu bewegen, auf Menschen zuzugehen
  • Blickkontakt: Betroffene meiden den direkten Blickkontakt
  • Schwierigkeiten im beruflichen und privaten Umfeld: Aufgrund der mangelnden sozialen Fähigkeiten fühlen sich Asperger-Betroffene häufig ausgegrenzt und "anders" als andere.

Eines vorweg: Heilbar ist das Asperger-Syndrom nicht. Es gibt lediglich Möglichkeiten, die den Betroffenen das Leben erleichtern und den psychischen Druck von ihnen nehmen. Die Störung sollte in keinem Fall nur negativ bewertet werden, Menschen mit Asperger-Syndrom haben viele spezielle Fähigkeiten und Fertigkeiten (hohe Intelligenz, Sprachgewandtheit, logisch-sachliches Denken), sodass diese Stärken den augenscheinlichen Defiziten gegenübergestellt werden sollten.


Eine Therapie kann in unterschiedlichen Lebensbereichen erfolgen, je nach Persönlichkeit des Betroffenen. Wichtig für Angehörige ist, behutsam und liebevoll vorzugehen. Einfühlendes Verhalten wäre hier so zu verstehen: Menschen mit Asperger-Syndrom verstehen sachliche und logische Vorgehensweise am besten, weswegen es besser wäre, das eigene Handeln zu erklären. Dazu zählen das Respektieren des Nicht-Körperkontakts: Körperkontakt wird oft als sehr unangenehm empfunden. Es wäre besser, diese Abneigung zu respektieren, anstatt der betroffenen Person etwas aufzudrängen und sie "umzupolen", vorsichtiges Wahrnehmungstraining, ein ständiges Wiederholen von sozialen und kognitiven Lernprozessen. Gute Unterstützung bieten Musik, Kunst (Malen, Zeichnen, Formen), Sport, zunächst einzeln, später in kleineren Gruppen. Um bestimmte Verhaltensmuster zu ändern bzw. Defizite (Sozialverhalten) auszugleichen, gibt es entsprechende Kompensationsstrategien.

Diese Therapien werden bei Aspergern angewandt:

  • Tiertherapie: ob ein eigenes Haustier oder ein regelmäßiges Training im Rahmen einer Hippotherapie zu Pferd: Für Asperger-Betroffene ist die Tiertherapie gut geeignet, um soziale Kompetenzen zu trainieren.
  • Musiktherapie: Musik eignet sich gut, um Befindlichkeiten auszudrücken, die Betroffene häufig nicht in Worte fassen können. Ob Musikhören oder selbst aktiv Musik zu machen, spielt bei der Musiktherapie keine Rolle. Musik kann auch bei sozialen Hemmungen eine Brücke zwischen Menschen schlagen. Sie fördert neuronale Verbindungen, die wiederum das Belohnungszentrum aktivieren.
  • Ergotherapie: Die Ergotherapie hilft, sensomotorische Probleme zu behandeln. Asperger-Betroffene zeigen häufig Beeinträchtigungen in der Grob- und Feinmotorik. Mit einem speziellen sensorischen Integrationstraining wird das Zusammenspiel z.B. von Fingern und Händen trainiert, von Körpergefühl und Sinneswahrnehmung.
  • Soziales Kompetenztraining: Asperger-Betroffene haben oft Schwierigkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten oder sich sozialen Regeln zu unterwerfen. Das Soziale Kompetenztraining vermittelt auf spielerische Weise, wie Betroffene lernen können, sich an Regeln zu halten. Durch Ballspiele, Erzählgruppen, Beschreiben des eigenen Erlebens in der Gruppe können kommunikative Kompetenzen erworben werden.
  • Verhaltenstherapie: Im Zuge der Verhaltenstherapie werden bestimmte erlernte Gewohnheiten und Muster trainiert, wie z.B. den Blickkontakt zu halten, Befindlichkeiten des anderen zu erkennen und darauf zu reagieren.

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Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

13. März 2023

Erstellt am:

5. Dezember 2015

Stand der medizinischen Information:

5. Dezember 2015

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