Autismus-Spektrum-Störungen

Therapeutin arbeitet mit einem Buben mit Autismus.
Menschen mit Autismus haben Probleme damit, Gesichtsausdrücke richtig zu deuten.
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Eine Autismus-Spektrum-Störung zeigt sich vor allem durch die Art der Wahrnehmung und die Verarbeitung von Eindrücken. Betroffene sind mit dem Umgang mit Sinnesreizen häufig überfordert.

Medizinische Expertise

Johannes Fellinger

Prim. Priv.-Doz. Dr. Johannes Fellinger

Leiter des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie
Bischofstraße 11, 4021 Linz
www.barmherzige-brueder.at
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Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die unter anderem Auswirkungen auf die Fähigkeit hat, mit anderen zu kommunizieren und zu interagieren sowie auf die Wahrnehmung der Umwelt. Betroffene Menschen nehmen ihr Umfeld speziell wahr und verarbeiten Informationen und Eindrücke oftmals auf eine besondere Art und Weise. Weil die Symptome individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt sind, spricht man von Autismus-Spektrum-Störung (ASS).

  • Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die sich auf die Kommunikationsfähigkeiten sowie auf die Wahrnehmung der Umwelt der betroffenen Person auswirkt.
  • Als Ursache werden vor allem genetische Faktoren vermutet.
  • Die Symptome sind indivduell sehr unterschiedlich ausgeprägt.
  • Für die optimale Förderung des Kindes ist Früherkennung wichtig.
Art Entwicklungsstörung
Ursachen ungeklärt, vermutet werden vor allem genetische Faktoren
Symptome Probleme in der Kommunikation, Probleme, sich an ungewohnte Situationen anzupassen, Entwicklung von Spezialinteressen, gestörte Wahrnehmung von Sinnesreizen, Schwierigkeiten beim Aufnehmen und Zuordnen von Informationen
Diagnose Anamnese und standardisierte semistrukturierte Untersuchung (ADOS-R), Testen des kognitiven Potentials, Untersuchen der Sprach- und Kommunikationsfunktionen
Therapie Anwendung geeigneter therapeutischer Interventionen

Internationalen Schätzungen zufolge ist rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung eines Landes von einer ASS betroffen. Für Österreich liegen bislang keine exakten Zahlen vor. Ausgehend von den internationalen Schätzungen kann man jedoch davon ausgehen, dass in Österreich etwa 87.000 Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung leben. Buben bzw. Männer sind weitaus häufiger betroffen als Mädchen bzw. Frauen.

Was die Ursache von ASS betrifft ist noch vieles ungeklärt. Experten vermuten vor allem genetische Faktoren. Dafür sprechen Studien, die ergaben, dass innerhalb der Familie eines Betroffenen mehrere Familienangehörige Merkmale einer Autismus-Spektrum-Störung aufweisen. Diskutiert werden auch Umweltfaktoren als Ursache für Autismus, diesbezüglich existieren jedoch nur wenige abgesicherte Ergebnisse.

  • Probleme in der Kommunikation: Menschen mit ASS haben Schwierigkeiten damit, Sprache gezielt anzuwenden, um ihren Gedanken, Gefühlen und Wünschen Ausdruck zu verleihen. Es fällt ihnen auch oft schwer, Gesagtes zu verstehen. Blumige Sprache oder ironische Bemerkungen sind für Menschen mit ASS kaum verständlich. Das gilt auch für non-verbale Sprache, also Gesichtsausdrücke, Gesten und Körpersprache.
  • Probleme, sich an ungewohnte Situationen anzupassen: Sie nehmen ihre Umwelt als chaotisch wahr und haben Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Deshalb sind ihnen geordnete Strukturen wichtig. Auf Abweichungen von gewohnten Abläufen reagieren Menschen mit ASS häufig mit starken Gefühlsausbrüchen. Manche Betroffenen zeigen ungewöhnliche Körperbewegungen, etwa Schaukeln mit dem Oberkörper.
  • Spezialinteressen: Eine Vielzahl an Menschen mit ASS entwickeln bestimmte Spezialinteressen. Sie beschäftigen sich ungewöhnlich lang und intensiv mit einer Thematik und eignen sich auf dem jeweiligen Gebiet besondere Kenntnisse an.
  • Wahrnehmung von Sinnesreizen gestört: Beispielsweise nehmen sie bestimmte Geräusche oder Gerüche als besonders unangenehm wahr und versuchen, diese Eindrücke zu vermeiden. Andere wiederum zeigen eine ausgeprägte Unempfindlichkeit manchen Reizen gegenüber. Um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, suchen sie extreme Anreize. Sie essen beispielsweise besonders geschmacksintensive Speisen, berühren raue Gegenstände oder setzen sich intensiven Geruchsreizen aus.
  • Schwierigkeiten beim Aufnehmen und Zuordnen von Informationen: So können Aufgaben, die sie in einem bestimmten Umfeld lösen können, in einer anderen Situation zur unlösbaren Herausforderung werden. Häufig konzentrieren sie sich auch auf einzelne Details und verlieren den Blick für das Ganze.
  • Frühkindlicher Autismus: Diese tiefgreifende Entwicklungsstörung zeigt sich bereits vor dem 3. Lebensjahr. Auffälligkeit bestehen sowohl in der sozialen Interaktion und Kommunikation als auch im Verhalten, das durch spezielle Interessen oder Stereotypien gekennzeichnet ist. Die Sprachentwicklung ist verzögert. Die kognitiven Funktionen können unterdurchschnittlich bis durchschnittlich angelegt sein.
  • Asperger-Syndrom: Die Diagnose eines Asperger-Syndrom wird meist nach dem 3. Lebensjahr gestellt. Im Unterschied zum frühkindlichen Autismus besteht hier keine Sprachentwicklungsverzögerung. Die Sprache ist aber nicht sozial kommunikativ ausgerichtet. Die kognitiven Anlagen sind durchschnittlich bis überdurchschnittlich.
  • Atypischer Autismus: Es treffen nicht alle Kriterien zu. Es finden sich aber erhebliche Symptome, die eine Zuordnung in das Autismusspektrum rechtfertigen.

 

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Wichtig für die optimale Förderung des Kindes ist die Früherkennung.

Folgende Anzeichen können Hinweise auf eine Autismus-Spektrum-Störung sein (ab 12 Monaten):

  • Wenig bis keine gemeinsame Aufmerksamkeit (joint attention) mit Bezugspersonen
  • Kein hinweisendes Zeigen
  • Wenig/keine Reaktion auf den eigenen Namen
  • keine Gesten (Winken, Bravo,…)

Hinweise ab einem Alter von 18 Monaten:

  • Keine Interesse an anderen Kindern
  • Kein "so-tun-als-ob" Spiel
  • Ausbleibende Sprachentwicklung

Die diagnostische Arbeit in Hinblick auf Autismus-Spektrum-Störungen sollte multiprofessionell angelegt sein und sowohl ärztliche (z.B. Kinderarzt, Kinder- und Jugendpsychiater, Neurologe, Psychiater) als auch entwicklungspsychologische Experten miteinbeziehen. Ebenso ist es wichtig auch Funktionen des Sehens und Hörens zu untersuchen.

Neben einer sehr genauen Anamnese besonders in Hinblick auf die frühe Kindheitsphasen sollte eine standardisierte semistrukturierte Untersuchung (ADOS-R) durchgeführt werden. Weiters sollte das kognitive Potential des Kindes getestet und die Sprach- und Kommunikationsfunktionen untersucht werden.

Wichtig ist es vor allem auf psychiatrische Störungsbilder, die auch komorbid bestehen können, wie z.B. Bindungsstörungen, ADHS, Angststörungen, Zwangsstörungen, etc zu achten. Weiterführend sind eine genetische Abklärung, bildgebende Verfahren und EEG je nach Situation einzuplanen.

 

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Autismus-Spektrum-Störungen sind nicht ursächlich behandelbar. Allerdings ist gerade im frühen Lebensalter eine entscheidende Beeinflussbarkeit des Verlaufs der Autismus-Spektrum-Störung durch die Anwendung geeigneter therapeutischer Interventionen möglich.

Vor allem das Early Start Denver Modell (ESDM) ist hier als evidenzbasierte therapeutische Möglichkeit zu erwähnen. Das ESDM-Modell ermöglicht ein gezieltes kleinschrittiges Vorgehen in allen relevanten Entwicklungsdimensionen. Das Arbeiten nach diesem Verfahren ist sehr intensiv zeigt aber, wie randomisierte Studien belegen, eine nachhaltige Wirkung auf die kognitiven Funktionen und auf die Autismussymptomatik. Sogar im EEG kann man erkennen, dass bei Kindern mit ASS nach einer ESDM-Therapie bei Anblick von Gesichtern Aktivierungen beobachtet werden, die vorher nur mehr unbelebten Gegenständen von sich gezeigt haben.

Das TEACCH-Programm hilft Menschen mit ASS in jedem Lebensalter durch eine strukturierte Tages- und Handlungsplanung. Es gibt eine unglaubliche Vielzahl therapeutischer Ansätze für die allerdings die wissenschaftliche Evidenz nicht gegeben ist.

Quellen: 

Interview mit Prim. Priv.-Doz. Dr. Johannes Fellinger am 08.08.2019

Dachverband Österreichische Autistenhilfe


Autor:in:
Medizinisches Review:
Zuletzt aktualisiert:

15. Dezember 2023

Erstellt am:

9. August 2019

Stand der medizinischen Information:

9. August 2019


ICD-Codes:
  • F84
  • F98

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