Je nach Form wird das gestörte Essverhalten mit zwanghaften Systemen aus Essen, Hungern, selbst herbeigeführtem Erbrechen, exzessiver Bewegung und Medikamenteneinnahme kontrolliert. Folgeschäden sind vor allem auf Ebene des Herz-Kreislaufsystems zu erwarten. Vielfach stützt sich die Therapie auf ein interdisziplinäres Behandlungsmodell aus medizinischen und psychotherapeutischen Maßnahmen.
Essstörungen treten vor allem bei jungen Frauen auf. Der Frauenanteil an Betroffenen liegt bei über 90 %. Etwa 30 % aller Mädchen in Österreich zeigen ein kritisches Essverhalten, gut die Hälfte davon ist untergewichtig. Insgesamt geht man von über 200.000 Österreicherinnen aus, die zumindest einmal in ihrem Leben an einer Essstörung erkranken. Je nach Form können unterschiedliche Altersgipfel definiert werden, in denen vermehrt Anzeichen einer Essstörung auftreten. Bei der Magersucht liegt der Altersgipfel zwischen 14 und 18 Jahren, bei der Ess-Brechsucht zwischen 16 und 18 Jahren. Jeder vierte Österreicher leidet an Übergewicht. Adipositas an sich zählt jedoch nicht zu klassischen, psychosomatisch bedingten Essstörungen.
Erwähnenswert in Zusammenhang mit Essstörungen ist die hohe Dunkelziffer. Das bedeutet: Viele, an Essstörungen erkrankte Personen werden statistisch nicht erfasst.
Magersucht,Ess-Brechsucht und Binge-Eating zählen zu den am häufigsten vorkommenden Essstörungen. Die zentralen Symptome dieser Essstörungen vermischen sich manchmal oder fließen ineinander über. Als markantestes Merkmal aller Essstörungen gilt die zwanghafte Beschäftigung mit dem Essen.
Magersucht (Anorexie, Anorexia nervosa): Von Magersucht spricht man, wenn der BMI unter 17,5 liegt. Das extrem niedrige Körpergewicht wird absichtlich durch Hungern, zwanghaftes Kalorienzählen und exzessive körperliche Belastung herbeigeführt. Obwohl die Betroffenen oft erschreckend dünn sind, fühlen sie sich dick - sie leiden unter einer Körperschemastörung. Typisch ist auch eine ausgeprägte Angst vor dem Zunehmen. Die mögliche Suche nach Selbstbestätigung und Anerkennung mündet nicht selten in Zwängen und Einsamkeit.
Ess-Brechsucht (Bulimie, Bulimia nervosa): Im Gegensatz zu Magersüchtigen sind Menschen mit Ess- Brechsucht häufig normalgewichtig. Gleich ist ihnen die panische Angst vor dem Zunehmen, was man auch als "Gewichtsphobie" umschreiben kann. Menschen mit Bulimie erleben wiederholte Episoden von Heißhungerattacken, in denen in kurzer Zeit Unmengen an Essen verschlungen werden. Während des Essens fühlen sich die Betroffenen euphorisch, danach ernüchtert und manchmal auch depressiv. Um einer Gewichtszunahme entgegenzuwirken, ergreifen Menschen mit Bulimie ungesunde Maßnahmen wie selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Abführmittel- und Entwässerungsmittel (Laxantien und Diuretika) strenge Fastenkuren oder übermäßige körperliche Aktivität.
Weder Orthorexia nervosa, noch Anorexia athletica sind als eigenständige Krankheitsbilder erfasst. Vom Krankheitsbild ähneln sie der Magersucht.
Orthorexianervosa: Der Begriff setzt sich aus "orthos" (richtig) und "orexis" (Appetit) zusammen. Orthorexia nervosa bedeutet demnach krankhaftes Gesund-Essen. Die Betroffenen sind oft mehrere Stunden damit beschäftigt, die Nährwerte und den Vitamin- und Mineralstoffgehalt von Lebensmitteln zu berechnen. Ungesunde Lebensmittel lösen Ängste aus. Mit der Zeit verringert sich die Liste an "erlaubten" Lebensmitteln, wodurch Mangelerscheinungen auftreten können. Wie bei vielen anderen Essstörungen tritt auch bei der orthorexia nervosa eine übermäßige Essensfixierung auf. Aus diagnostischer Sicht ist sie dennoch keine eigenständige Essstörung. Die orthorexia nervosa ist im Grenzbereich der Zwangsstörungen einzusiedeln.
Anorexia athletica: Die Anoroxia athletica ist ebenfalls nicht als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt. Sie tritt jedoch häufig als Begleitsymptom einer Essstörung auf. Kennzeichen der Anorexia athletica ist die bewusste Verringerung des Körpergewichts, um eine bestimmte sportliche Leistung zu erreichen. Die Gewichtsreduktion erfolgt entweder durch strikte Diät oder durch andere gewichtsreduzierende Maßnahmen wie exzessives Trainieren oder übermäßiges Entwässern. Ein gehäuftes Vorkommen findet man in Sportarten bei denen ein niedriges Körpergewicht ein Leistungsfaktor ist, beispielsweise im Klettersport und bei Schispringern.
Heißhungerattacken (Binge eating disorder): Binge Eating Disorder ist eine durch Essattacken gekennzeichnete Essstörung. Charakteristisch ist, dass die Essanfälle mit einem Gefühl des Kontrollverlusts einhergehen. Das bedeutet: Menschen mit dieser Essstörung können nicht kontrollieren, was und wie viel sie essen. Obwohl kein physiologischer Hunger vorliegt, essen die Betroffenen oft bis zu einem unangenehmen Völlegefühl. Nach dem Essen sind sie mit Schuld- und Ekelgefühlen konfrontiert. Der Unterschied zu Ess-Brechsucht ist das ausbleibende Purging-Verhalten. Heißt: Die Betroffenen fasten nicht und führen kein Erbrechen herbei, um die Essattacke wieder zu kompensieren.
Nicht näher definierte Essstörungen (Eating Disorder Not Otherwise Specified = EDNOS): Darunter fallen jene Essstörungen, welche nicht alle Diagnosekriterien einer spezifischen Essstörung erfüllen. Beispiele dafür: Obwohl eine Frau sämtliche Kriterien der Magersucht erfüllt, kommt es zu keinem Ausbleiben der Regelblutung. Oder: Es werden große Nahrungsmengen gekaut, jedoch vor dem Hinunterschlucken ausgespuckt.
Essstörungen können als Sprachrohr für einen tiefer liegenden, psychischen Konflikt angesehen werden. Der Ausbruch der Krankheit beruht dabei nie auf einer alleinigen Ursache. Viel eher kann man von einem komplexen Ursachengeflecht ausgehen, das zu Essstörungen führt:
Die Folgen von Essstörungen sind von der jeweiligen Form abhängig. Sowohl bei Magersucht als auch bei Bulimie kommen allgemeine Schwäche, Müdigkeit, Schlaflosigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit häufig vor. Typisch ist auch das Ausbleiben der Regelblutung bei jungen Mädchen und Frauen, welches auf den gestörten Hormonhaushalt zurückzuführen ist. Aufgrund einer Unter- oder Fehlernährung erhält der Körper nicht alle wichtigen Nährstoffe. Dadurch kann sich die Funktion von Geweben, Zellen und Organen einschränken. Die allgemeine Muskelabnahme kann bis zum Herzen übergreifen. Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen sind die Folgen. Wird eine Essstörung nicht rechtzeitig behandelt, kann sie im schlimmsten Fall auch tödlich verlaufen.
Bei vielen anderen Suchterkrankungen stellt Verzicht einen Teil des Behandlungskonzeptes dar. Nachdem die Nahrungsaufnahme lebensnotwendig ist, geht es bei der Therapie von Essstörungen nicht um das Weglassen der "Droge Essen". Viel mehr steht das Erlernen eines neuen Umgangs mit der Nahrungszufuhr im Vordergrund. Je nach Essstörungsform und je nach Krankheitsstadium stehen unterschiedliche
Therapiemethoden zur Verfügung. Eine Vernetzung und ein Informationsaustausch des Fachpersonals bzw. der verschiedenen therapeutischen Maßnahmen (Psychotherapie, Arzt) sind für einen Therapieerfolg zielführend: