Musiktherapie

Frau bei der Musiktherapie
Musiktherapie ist besonders geeignet, wenn sich der Patient sprachlich nicht oder nur eingeschränkt ausdrücken kann.
© Microgen / Fotolia.com
Direkt zum Inhaltsverzeichnis

Musiktherapie ist eine eigenständige ausdrucksfördernde Behandlungsmethode, fachliche Querverbindungen gibt es vor allem zur Medizin und zur Psychotherapie.

Medizinische Expertise

Thomas Stegemann

Univ.-Prof. Med.Univ. Dr. Thomas Stegemann

Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Professor für Musiktherapie, Psychoanalytischer Paar- und Familientherapeut
Rennweg 8, 1030 Wien
www.thomasstegemann.at
Medizinische Fachbeiträge auf MeinMed.at werden von 🇦🇹 österreichischen Ärzt:innen und medizinischen Expert:innen geprüft.

Inhaltsverzeichnis

Bei der Musiktherapie wird Musik gezielt im Rahmen einer therapeutischen Beziehung eingesetzt, d.h. es wird gemeinsam musiziert, manchmal wird Musik auch angehört. Das Medium Musik eignet sich gut, um Befindlichkeiten und Emotionen auszudrücken. Dadurch ist es u. a. möglich, versteckte Konflikte freizulegen und bei Betroffenen, die an psychischen oder physischen Beeinträchtigungen laborieren, einen Heilungsprozess in Gang zu setzen. Musikalische Vorkenntnisse sind dabei nicht nötig.

Video: Wirkmechanismen der Musikmedizin

Ao. Univ-Prof. Dr. Klaus Laczika (Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klinische Abteilung für Palliativmedizin, MedUni Wien/AKH Wien) zeigt die medizinischen Möglichkeiten der Musik auf. (Videovortrag in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft vom Goldenen Kreuze, 18.3.2021)

Musiktherapie ist besonders geeignet, wenn sich der Patient sprachlich nicht oder nur eingeschränkt ausdrücken kann. Sie kann bei verschiedenen Erkrankungen wesentlich zu einem schrittweisen Gesundungsprozess beitragen:

  • Psychische Erkrankungen: Betroffene mit Angststörungen, Wahrnehmungsstörungen, Psychosen, kognitiven Störungen oder Depressionen können ihre Befindlichkeiten oftmals nicht in Worte fassen. Hier setzt Musiktherapie an, um z.B. die Ausdrucks- und Wahrnehmungsfähigkeit zu fördern.
  • Psychosomatische Erkrankungen: Körperliche Beschwerdebilder, die auf psychische Ursachen zurückzuführen sind, wie unverarbeitete Konflikte, äußern sich mitunter als Kopfschmerz oder Rückenschmerz, körperliche Missempfindungen oder Beschwerden in verschiedenen Organsystemen (Herz-Kreislauf-, Magen-Darm-, Urogenitalsystem). Das "Verbalisieren" in der Sprache der Musik kann zu einem Heilungserfolg verhelfen.
  • Neurologische Rehabilitation: Werden durch eine Erkrankung Bewegungen oder Kommunikation unmöglich oder wirkt sich eine Krankheit auf die Gedächtnisleistung aus (z.B. Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma, Alzheimer, Morbus Parkinson oder Multiple Sklerose), kann Musiktherapie auf die körperlichen und geistigen Zustände einwirken und Verhaltensänderungen bewirken.
  • Krebserkrankungen: Die Diagnose Krebs bringt Verzweiflung, Hilflosigkeit und Ungewissheit mit sich, ein Zustand, der sich auf die Seele auswirkt. Mithilfe der Musiktherapie können erfahrene Therapeuten einen Zugang zu Gefühlen des Betroffenen finden, verdrängte Ängste freilegen und eine Verhaltensänderung bewirken.
  • Trauma und Gewalt: Traumatische Erlebnisse, wie persönliche Verluste, Trauer, sexueller Missbrauch oder Schicksalsschläge sind häufig mit Sprachlosigkeit, Verdrängung oder Scham behaftet. In diesem Bereich kann die Musiktherapie versteckte Emotionen aufspüren und zu einem Umwandlungsprozess anleiten.
  • Autismus: An Autismus leidende Menschen haben häufig Kommunikationsschwierigkeiten sowie Probleme im Bereich der Verbalisierung oder im Kontakt zu anderen. Musiktherapie erleichtert die Interaktion und fördert die sozialen und sprachlichen Kompetenzen der Betroffenen.
  • Altersspezifische Erkrankungen: Vor allem für Kinder und Jugendliche mit Störungen im Bereich des Sozialverhaltens, für junge Menschen, die von Krisen geschüttelt werden, kann mithilfe der Musiktherapie eine zusätzliche Behandlungsoption geboten werden. Auch in der Geriatrie (z.B. bei Demenz) sowie in der Neonatologie hat sich diese Form der Therapie als erfolgreich erwiesen.

Musiktherapie kann auf zweierlei Weise erfolgen:

  • Aktive Musiktherapie: Dabei experimentieren die Patienten selbst mit verschiedenen Instrumenten, wie Percussion, Trommeln, Orff-Instrumenten oder mit der eigenen Stimme, die die Bandbreite menschlicher Emotionen widerspiegeln. Klang und Rhythmus der Musik lassen verschiedene Assoziationen zu, die mit der eigenen Biographie in Zusammenhang gebracht werden. Dadurch können sich u.a. Blockaden und Spannungen lösen.
  • Rezeptive Musiktherapie: Damit wird das Hören von Musik bezeichnet, ohne selbst ein Instrument zu spielen. Bei dieser Methode kann der Musiktherapeut selbst ein Instrument spielen oder singen, oder es ist Musik von Tonträgern zu hören.

Musiktherapie erfolgt einzeln oder in der Gruppe und wird empfohlen, wenn einerseits dem Betroffenen nicht ausreichend sprachliche Mittel zur Verfügung stehen, um seine Problemwelt zu verbalisieren, und andererseits, um den Zugang zur eigenen Gefühlswelt freizulegen. Wenn möglich, wird das Erlebte im Zuge der Sitzung verbal aufbereitet und reflektiert. Jeder Musiktherapie muss ein individuell abgestimmtes Behandlungskonzept zugrunde liegen.

So wirkt Musik auf das Gehirn

Beim Hören von Musik werden emotionale Zentren im Gehirn aktiviert und neuronale Reorganisationsprozesse in Gang gesetzt. Musik hat eine harmonisierende und synchronisierende Funktion im Nervensystem und ist imstande, das Belohnungszentrum zu aktivieren und gleichzeitig den Mandelkern zu deaktivieren. Das ist von großer Bedeutung, denn durch den Mandelkern werden Angst und Stress reguliert. Im Belohnungszentrum werden neuronale Netzwerke aktiviert, die Freude, Aufmerksamkeit und Entspannung ermöglichen. Musik knüpft aber auch an tief verwurzelte Prägungen, wie Rhythmus (Herzschlag) oder Klang, an, denn der Hörsinn ist einer der ersten Sinne, die sich bereits im Mutterleib bilden. Durch die Verbindung von physischen und psychischen Einflüssen spricht Musik den Menschen in seiner Ganzheit an.

Die Dauer einer Musiktherapie ist je nach Erkrankung bzw. Störungsbild unterschiedlich lange, sie muss in einem individuellen Konzept festgelegt werden. Üblicherweise dauert eine Behandlungseinheit zwischen einer halben Stunde (Einzeltherapie) und 2 Stunden (Gruppe), wobei die Sitzungen sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden können.

Musiktherapeuten arbeiten zumeist in einem multiprofessionellen Team und sind ambulant, in eigener Praxis oder stationär tätig. Die Ausbildung zum Musiktherapeuten ist in Österreich gesetzlich geregelt, sie erfolgt an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, an der Kunstuniversität Graz und an der FH Krems. Die gesetzliche Regelung bringt den Patienten die Sicherheit, dass Musiktherapie in Österreich nur von qualifizierten Personen angeboten wird. Alle hierzulande tätigen Musiktherapeuten sind in einer vom Bundesministerium für Gesundheit geführten Liste eingetragen.

Basis für jede Behandlung ist, dass Sie diese freiwillig absolvieren und dass es eine gute zwischenmenschliche Kommunikation zwischen Ihnen und Ihrem Therapeuten gibt.

Die Grenzen der Musiktherapie werden von ausgebildeten Musiktherapeuten definiert. Sie können einschätzen, wann eine musiktherapeutische Behandlung angezeigt ist oder wann eine Zuweisung zu einer anderen Therapie ratsam ist. Ferner ist zu bedenken, dass Musiktherapie – wie jede andere Therapieform auch – nicht nur erwünschte, sondern auch unerwünschte Wirkungen haben kann. Daher ist bei bestimmten Patientengruppen besonders darauf zu achten, dass es durch den Einsatz von Musik nicht zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes kommt (z. B. bei akuter Psychose oder bei Traumafolgestörungen).

Die Kosten für eine Musiktherapie im stationären Bereich werden vom Krankenversicherungsträger abgedeckt. An speziellen Ambulanzen ist es weiters möglich, nach ärztlicher Verordnung eine Musiktherapie durchzuführen. In diesem Fall übernimmt der Krankenversicherungsträger ebenfalls die Kosten. Anders im niedergelassenen Bereich: Hier werden die Kosten nicht übernommen, wenn die Therapeuten keine Kassenverträge haben.


Autor:in:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

18. Dezember 2013

Stand der medizinischen Information:

18. Dezember 2013

Mehr zum Thema

Derzeit aktuell

Neueste Beiträge