Stottern

Logopädin hilft stotterndem Mädchen.
Mithilfe logopädischer Therapie wird ein besserer Umgang mit der Redestörung erlernt.
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Beim Stottern kommt es zu einer Störung des Redeflusses, dabei können Wiederholungen, Dehnungen von Lauten und Unterbrechungen während des Sprechens auftreten.

Medizinische Expertise

Martina Haring

Martina Haring

Logopädin
Mattersburgerstraße 27, 7022 Schattendorf
www.martina-haring.at
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Inhaltsverzeichnis

Stottern tritt bei jedem 25. Kind auf, bei einem Großteil der Betroffenen bilden sich – manchmal auch spontan, ohne Zutun der Betroffenen – die Symptome wieder zurück. Die Ursache liegt in den Genen, kritische Ereignisse (z.B. Scheidung der Eltern) können aber zur Auslösung beitragen. Neben den Sprechproblemen stellen sich, v.a. ab dem späten Kindesalter, Begleitsymptome wie Kopfnicken oder Fußstampfen ein. Angst- und Schamgefühle sind häufig und können dazu führen, dass gewisse Situationen, Wörter oder Laute vermieden werden. Rückzug aus dem Sozialleben kann die Folge sein. Mithilfe logopädischer Therapie wird ein besserer Umgang mit der Redestörung erlernt.

Phasen, in denen nicht flüssig gesprochen wird, treten bei bis zu 80 % aller Kinder im Laufe der Sprachentwicklung auf. Von diesen entwickeln 5 % Symptome, die auf einen chronischen Verlauf hindeuten. Jedoch treten beim Großteil der Betroffenen während dem späteren Kindesalter oder im Jugendlichen- oder frühen Erwachsenenalter Remissionen – ein vollständiger Rückgang der Symptome – ein, sodass im Erwachsenenalter nur noch etwa 1 % der Bevölkerung stottert.

Etwa 3-mal so viele Buben wie Mädchen sind Stotterer. Mit zunehmendem Alter sind Buben sogar 4- bis 5-mal so häufig betroffen, da bei Mädchen die Chance auf eine Remission höher ist. Je älter ein Kind wird, desto mehr sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein völliger Rückgang der Symptome einstellt.

Die Ursache für Stottern ist in den Genen zu finden. Häufig bringen Eltern bestimmte Lebensereignisse, z.B. Schuleintritt, Scheidung, Todesfall in der Familie, mit dem Stottern ihres Kindes in Zusammenhang. Man kann jedoch belegen, dass solche Ereignisse das Stottern nicht ursächlich bedingen. Die ersten Stotterereignisse sind vielleicht zufällig zu diesem Zeitpunkt aufgetreten, hätten jedoch genauso gut ein wenig davor oder danach zusammenhanglos oder in Verbindung mit einem weitaus unaufregenderen Thema auftreten können. Die Veranlagung zu Stottern ist hier maßgeblich.

Äußere Umstände (z.B. ein abwertender Umgang mit dem Kind in Bezug auf sein Stottern, Stress,...) können sich jedoch aufrechterhaltend auf das Stottern auswirken.

Zur Kern- bzw. Primärsymptomatik zählen folgende Unterbrechungen des Redeflusses:

  • Wiederholungen (Repetitionen): von Wörtern ("kann-kann-kann"), Silben ("ka-ka-kann") und Lauten ("k-k-kkann")
  • Dehnungen (Prolongationen): z.B. "fffffast", "aaaaaaber"; der Lautproduktion bzw. Atemfluss werden dabei fortgesetzt
  • Blocks: unnatürliche Sprechpause, bei der Lautproduktion und Atemfluss unterbrochen sind ("-----kann"), alle anderen Bewegungen wie z.B. Gesten werden während eines Blocks unterbrochen

Daneben gibt es noch eine Begleit- bzw. Sekundärsymptomatik, die sich vor allem im späteren Entwicklungsverlauf (hin zum Jugendlichen- und frühen Erwachsenenalter) verstärkt. Dabei handelt es sich um Verhaltensweisen, die sich die Betroffenen (oft unbewusst) angewöhnt haben, um das Stottern zu unterdrücken. Dazu zählen unter anderem Schnappen nach Luft, Kopfnicken, Vorstrecken der Zunge, Fußstampfen, Kieferzucken.

Hinzu kommt, dass Betroffene mit der Zeit Angst vor Sprechsituationen entwickeln können, weil sie fürchten, sich zu blamieren. Vermeidungs- und Fluchtverhalten sind die Folgen solcher Ängste, sodass Situationen, Laute oder Wörter, die mit unangenehmen Stottererlebnissen in Verbindung gebracht werden, im Vorhinein vermieden werden bzw. versucht wird, sich so einer Situation (z.B. Telefonat) zu stellen, aber dann die Flucht angetreten wird (z.B. Hörer auflegen, sobald sich jemand meldet).

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Stottern beginnt in

  • 50 % der Fälle bereits vor dem 4. Lebensjahr,
  • 75 % der Kinder beginnen vor dem 6. Lebensjahr zu stottern und
  • bis auf wenige Ausnahmen beginnen alle vor dem 12. Lebensjahr zu stottern.


Jedoch kann sich das Stottern auch wieder zurückbilden – von Spontanremissionen spricht man dann, wenn sich die Symptome ohne Behandlung wieder zurückbilden, Remissionen können durch eine logopädische Behandlung begünstigt werden. Häufig treten auch wellenförmige Verläufe mit Phasen mit mehr oder weniger starkem Stottern auf.


Besonders für Jugendliche und Erwachsene sind die Ängste besonders belastend, die die Auffassung, kein kompetenter Sprecher zu sein, mit sich bringt. Wenn Jugendliche und Erwachsene es nicht schaffen bzw. ihnen nicht dabei geholfen wird, mit den Ängsten umzugehen, können sich diese bis hin zum Rückzug aus sämtlichen sozialen Lebensbereichen verschlimmern.

Um Stottern von unflüssigem Sprechen abzugrenzen, das auch in der natürlichen Sprachentwicklung immer wieder auftritt, ist die Spontansprachanalyse eine Möglichkeit, um Stottern zu diagnostizieren. Bei dieser Methode werden alle Stotterereignisse gezählt. Gleichzeitig werden auch die Schwere der Begleitsymptomatik erhoben und die Gefühle und Einstellungen der Betroffenen zum Stottern erfragt.


Stottern muss diagnostisch abgegrenzt werden von anderen Störungen des Redeflusses wie:

  • Schnelles, unrhythmisches Sprechen (Poltern): Störung der Sprach- und Sprechverarbeitung, bei der schnell, unrhythmisch und unorganisiert, zudem häufig unverständlich gesprochen wird. Gelegentlich treten Stottern und Poltern auch gemeinsam auf.
  • Stottern bei neurologischen Störungen (Neurogenes Stottern): Erworbenes Stottern, das im Zusammenhang mit einer neurologischen Störung (z.B. Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma) auftritt und bei dem stotterähnliche sprachliche Symptome auftreten.
  • Stottern durch psychische Ursachen (Psychogenes Stottern): Erworbenes Stottern, das im Zusammenhang mit einer psychischen Störung (z.B. Depression, Angst- und Persönlichkeitsstörung, posttraumatische Belastungsstörung) auftritt.
  • Stottern mit Zittern (Spasmodische Dysphonie): Zentrale Stimmstörung, bei der die Kontrolle der Bewegungen vom Zentralnervensystem nicht richtig ausgeführt wird und es u.a. durch Zittern (Tremor) der Lippen zu stotterähnlichen sprachlichen Symptomen kommt.

Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Therapieansätze, die von Logopäden eingesetzt werden: Einerseits die Stottermodifikation, andererseits das Fluency Shaping. Beide Therapieprogramme dauern mehrere Wochen und besonders beim Fluency Shaping ist ein intensives Einüben des neuen Sprechmusters nötig, sowie regelmäßige Sitzungen nach Therapieende, um Rückfälle zu vermeiden.

Stottermodifikation/Non-Avoidance-Ansatz:
Bei der Stottermodifikation geht es nicht darum, Stottern vermeiden zu wollen, sondern einen besseren Umgang damit zu erlernen. Der Therapieansatz gliedert sich in 4 Phasen:

  • Phase 1 – Identifikation: Der Stotternde beobachtet, wann Stottereignisse auftreten und was er dabei empfindet.
  • Phase 2 – Desensibilisierung: Es wird absichtlich gestottert, um negative Empfindungen beim Stottern durch die Gewöhnung daran zu reduzieren und bei praktischen Übungen zu merken, dass die Zuhörer zumeist sehr tolerant auf das Stottern reagieren.
  • Phase 3 – Modifikation: Es werden Techniken erlernt, um das Stottern flüssiger zu machen – Pausen werden eingelegt, gestotterte Worte langsam wiederholt bzw. werden diese von vornherein langsamer ausgesprochen.
  • Phase 4 – Stabilisierung: Zu guter Letzt wird das flüssige Stottern und der entspanntere Umgang damit stabilisiert und in den Alltag übernommen.


Fluency Shaping:
Unter Fluency Shaping wird der systematische Aufbau einer flüssigen Sprechweise verstanden. Dabei wird ein vollkommen neues Sprechmuster eingeübt. Die Sprechgeschwindigkeit wird zuerst stark reduziert, alle Laute oder nur die Vokale werden gedehnt und deutliche Atempausen eingesetzt. Danach wird diese während der Therapie wieder langsam gesteigert, immer nur so viel, dass noch flüssig gesprochen werden kann, ohne zu stottern. Auch diese Fähigkeiten werden am Ende in den Alltag transferiert.

Wenn Sie Ihr eigenes Stottern oder das Stottern Ihres Kindes belastet, holen Sie sich Hilfe vom Fachpersonal (Logopäden, Psychologen, Psychotherapeuten). Ein Beratungsgespräch kann oftmals schon sehr entlastend wirken.

Mit wohlgemeinten Aussagen wie "Sprich nochmal!", "Sprich langsam!", "Sprich schön!" kann es passieren, dass man dem Stotternden noch mehr Druck macht. Ihr Kind würde liebend gerne sprechen, ohne dabei zu stottern, aber es hat keine Kontrolle darüber.


Gehen Sie davon aus, dass Ihr Kind bemerkt und weiß, dass mit seinem Sprechen etwas nicht so funktioniert, wie es das gerne hätte! Es "verheimlichen", "sicherheitshalber" nicht ansprechen oder bagatellisieren kann die Symptomatik verstärken.


Ihr Kind möchte Ihnen etwas erzählen, aufregende Erlebnisse mit Ihnen teilen, daher hilft es ihm sehr, dass Sie sich an den Inhalten seiner Rede interessiert zeigen ("Da-da-da-da-dann hab ich ein T-T-Tor geschossen!" "Wow, du hast ein Tor geschossen!") und einfach benennen, was da mit seinem Sprechen passiert ("Jetzt sind die Wörter wieder stark gehüpft beim Erzählen, das war ja jetzt vielleicht anstrengend für dich. Puh!"). Somit fühlt sich Ihr Kind ernst- und angenommen, die Schwierigkeiten sind "auf dem Tisch" und weit weniger beängstigend, als würde man sie "unter den Teppich kehren".

  • Interview mit Martina Haring, Logopädin
  • Kindliches Stottern - logopädieaustria (21.11.2014)
  • Stottern im Kindesalter, P. Sandrieser, P. Schneider, Georg Thieme Verlag, 3. vollständig überarbeitete Auflage, Stuttgart, 2008
  • Stottern: Erkenntnisse, Theorien, Behandlungsmethoden, U. Natke, Verlag Hans Huber, 1. Auflage, Bern/Göttingen/Toronto/Seattle, 2000
  • Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Band 2: Erscheinungsformen und Störungsbilder, M. Grohnfeldt (Hrsg.), Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 2001

Redaktionelle Bearbeitung:
Medizinisches Review:
Erstellt am:

21. November 2014

Stand der medizinischen Information:

21. November 2014


ICD-Code:
  • F98

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